VDH / DZRR / FCI
 
Die Alten zeigen den Weg

Jahrelange Beobachtungen von Wolfsgruppen in Gehegehaltung und die daraus resultierenden Schlüsse namhafter Verhaltensforscher und Wildbiologen prägten Begriffe wie "Alphawolf", "Rudelführer", "Hierarchie" und "Dominanz". Man ging bisher davon aus, dass der "Alphawolf" als ranghöchstes Tier in ständiger Konkurrenz zu den älteren Tieren des Rudels steht und diese Position durch entsprechendes Imponier- und Dominanzverhalten immer wieder durchsetzt. Auf dieser Basis sollte Hundeerziehung aufbauen: der Hundeführer hat als ranghöchstes Rudelmitglied seine Führungsposition durch dominantes Auftreten darzustellen.

Neueste Beobachtungen von tatsächlich frei lebenden Wolfsrudeln haben gezeigt, dass die Gruppenkonstellation solcher Familien aus den beiden Elterntieren und ihrem Nachwuchs bestehen. Die "Alphatiere" sind also in der Regel die Eltern, die auf Grund ihrer Lebenserfahrung und ihres Markierungsverhaltens "Dominanz" ausstrahlen. Ihre dominante Ausstrahlung beruht auf Wissen und einem großem Gemeinsamkeitssinn. Die Jungtiere lernen durch Beobachtung und Nachahmung der Alten und lassen sich in den ersten zwei Jahren problemlos führen. Mit zunehmenden Alter und der damit einhergehenden Selbstständigkeit verlassen sie dann das Rudel. Diese Ausweichmöglichkeit haben Gehegewölfe natürlich nicht, ebenso wie einige andere Bedingungen (z. B. freie Partnerwahl, umfangreiche Lebenserfahrung) der freilebenden Wölfe.

Der Wolf ist der nächste lebende Verwandte des Hundes.
Aber: Hunde sind Hunde, keine gezähmten, in Gefangenschaft gehaltenen Wölfe!

Beobachtungen von noch relativ "frei" lebenden und sich weitgehend selbst überlassenen Hundegemeinschaften in Dörfern belegen deutlich ein verändertes Verhalten. Es zeigte sich, dass Hunde z. B. keine so strenge Rudelrangordnung kennen und einhalten, wie man bisher glaubte. Dorfhunde stöbern einzeln oder in sehr kleinen Gruppen von oft nur 2 -3 Tieren nach Fressbarem. Dabei geht jeder Hund mehr oder weniger seiner Wege. Um Abfälle zu finden und Kleintiere zu fangen, bedarf es keines Rudels. Damit ist auch das Verhalten der Hunde untereinander nicht geprägt von den strengen Regeln einer Rudelrangordnung. Ein Hund weicht wohl einem dominanteren und aggressiveren Artgenossen aus, folgt ihm aber dann nicht überall als Rangniederer nach. Man könnte sagen, dass unter Hunden ehe die Kumpanei von Wegelagerern herrscht. Nichts desto trotz sind beim Hund durchaus noch Verhaltensmuster des Urahn Wolf zu erkennen wie z. B. der häufig zum Problem des Hundeführers werdende Jagdtrieb oder die Fähigkeit des Lernens durch Nachahmung.

Hunde üben sämtliche Verhaltensweisen bereits spielerisch im Welpenalter. Dabei wird auch der Grundstein für den späteren sozialen Umgang mit Artgenossen gelegt. Jedes Verhalten, das ein Hund zeigt, ist artspezifisches Verhalten. Es ist jedoch der Wunsch des Menschen, dieses Verhalten steuerbar zu machen, weshalb man auf erzieherischen Wege den Versuch der Einflussnahme anstrebt.

So unterschiedlich wie die Persönlichkeit jedes einzelnen Hundes ist, muss auch seine Erziehung sein.

Grundsätzlich sind einem Hundewelpen, beziehungsweise seinem oft hemmungslos gezeigtem Verhalten, bereits während der sensiblen Phase (Rangordnungsphase 13. - 16. Lebenswoche und Rudelordnungsphase 5. und 6. Lebensmonat) seines Junghundedaseins klare (!) Grenzen zu setzen. Werden Hundewelpen ab der 8. Lebenswoche nicht einzeln vom Menschen gehalten, sondern verbleiben bei ihrer Hundefamilie, übernehmen die erwachsenen Tiere die Aufgabe des Grenzensetzens. Der Welpe versteht diese Erziehungsmaßnahme also. Auf das Einhalten von Grenzen ist unbedingt zu achten. Wie deutlich oder heftig dies geschehen muss, hängt vom Charakter des einzelnen Hundes ab.

Hierbei führt aber nur ein ruhiges, abgeklärtes, souveränes und konsequentes Auftreten seitens des Menschen zum Erfolg.

Ungerechtigkeit, ständiges Schreinen und unnötige Härte oder Gewalt wird Sie in den Augen Ihres Hundes nur als völlig unfähiges Vorbild erscheinen lassen. Als Folge dessen, wird er im schlimmsten Fall seelisch gebrochen und völlig devot sein. Ein Hund mit nervlich stabileren Charakter wird Sie ganz einfach nur zunehmend ignorieren. Nur wenn Sie in der Lage sind, den obigen Leitsatz tatsächlich zu leben und nur dann, wird sich der Hund der Lebenserfahrung und Überlegenheit seines Menschen anvertrauen. Ein Hund, der seinem Herrn blindlings folgt, ist vertrauensvoll, nicht gehorsam (auch wenn wir Menschen gerne diesen Ausdruck verwenden), ganz einfach, weil er erkannt hat, dass es für ihn nur von Vorteil ist, sich diesem in sich ruhendem, den Überblick bewahrenden Chef anzuschließen.

Einige wichtige Eckpfeiler im Umgang mit dem jungen Hund: Bahari noch ganz klein
  Das Spiel
Wie schon geschrieben, lernt der junge Hund vieles im Spiel; machen Sie sich dieses zu Nutze und spielen Sie! Bestimmen Sie Anfang und Ende des Spiels; zeigen Sie im Spiel ihre geistige Überlegenheit, aber lassen Sie den jungen Hund auch zum Zuge kommen. Beleben Sie das Spielzeug - lassen Sie es zur lebendigen Beute werden, die auftaucht, zuckt und blitzschnell wieder verschwindet. Bewegen Sie sich und lassen Sie sich dabei auf die körperliche Ebene Ihres Hundes hinab. Laufen Sie mit ihm um die Wette, verstecken sich dann plötzlich um unverhofft wieder aufzutauchen. Und beenden Sie das Spiel rechtzeitig, bevor es dem Hund langweilig wird und er sich anderen Dingen zuwendet. Seien Sie kreativ! (Hundertmal einen Ball zu werfen ist nicht kreativ!).
  Der Blickkontakt
Bestätigen Sie jeden Blickkontakt seitens Ihres Welpen freundlich: Mit einen kurzem "Fein so", einem Lächeln, mal mit einer Aufforderung etwas aktiv zu tun, um die Ausführung dann lobend zu bestätigen oder auch nur einer kleinen Geste, die dem Hund zeigt, dass sein Versuch Kontakt mit Ihnen aufzunehmen bei Ihnen gut ankommt . Hunde, die hier nie bestätigt werden, geben diese Form der Kommunikation schließlich auf und wenden sich anderen Dingen zu. An einem Hund, dessen Aufmerksamkeit Sie nicht haben, sind Sie selber schuld.
  Der Einwirkungsbereich
Achten Sie darauf, dass sich der junge Hund innerhalb seines ersten Lebensjahres nicht Ihrem Einwirkungsbereich entziehen kann! Auch wenn Sie glauben, dass Ihnen der Welpe überall nachfolgt - nur zu schnell wieder er zusehends selbstbewusster und damit selbständiger: bereit eigene Wege zu gehen. Sichern Sie den Hund mit einer Schleppleine ( immer an einem Geschirr, nicht am Halsband befestigen), deren Ende (und nur das!) Sie in der Hand behalten . So können Sie mit dem Hund die ersten Hörzeichen wie "Warten" und "Komm" üben, ohne dass er sich verselbständigen kann. Ein Hund, der auch nur einmal die Erfahrung gemacht hat, dass er Ihr Rufen ignorieren kann, weil Sie seiner nicht habhaft werden, merkt sich das gut. Und wenn dann noch das Erlebnis einer Hetzjagd hinter Wild eintritt, haben Sie die ersten Schritte in die falsche Richtung erfolgreich getan.
Rufen Sie Ihren jungen Hund nicht aus dem Spiel mit Artgenossen heraus zu Ihnen, wenn Sie nicht ganz sicher sein können, dass er auch prompt kommt. Es ist allemal besser, den Hund sich austoben zu lassen, um ihn dann ruhig an die Leine zu nehmen. Haben Sie diese Zeit einmal nicht, lassen Sie ihn besser gar nicht erst loslaufen.
Glauben Sie nicht, dass Ihr Hund mit zunehmenden Alter von alleine vernünftiger wird. Hat er in seiner Jugend gelernt, dass er sich Ihrem Einwirkungsbereich entziehen kann, wird er das nach Gutdünken auch immer wieder tun.
  Die Hörzeichen
Die eigentliche Ausführung eines Hörzeichens kann aus spielerischen Bewegungen erarbeitet werden: der Hund legt sich beim Herumbalgen hin und sie sagen in diesem Moment "Platz" oder der Hund läuft zufällig an ihrer linken Seite, weil er den Ball in ihrer Hand folgt und sie bestätigen ihn mit "Brav Fuß". Mit der Zeit verknüpft der Hund ein an Ihrer linken Seite Laufen mit dem gesprochenen Wort "Fuß". Achten Sie unbedingt darauf, ein Hörzeichen erst auszusprechen, wenn Sie die Aufmerksamkeit Ihres Hundes haben. Stellen Sie sich das wie bei einem Funkgespräch vor: wenn der Partner nicht auf Empfang geschaltet hat, können Sie senden so viel Sie wollen, es wird keine Kommunikation zustande kommen.

Hörzeichen, bei denen der Hund etwas aktiv ausführen soll, sind immer (!) positiv belegt einzusetzen.

Es gilt stets die Reihenfolge "Motivieren", "Bestätigen" und "Belohnen" einzuhalten. Macht der Hund einmal in ihren Augen einen Fehler bei der Ausführung einer Übung, wird er ruhig (!) korrigiert, nicht beschimpft oder gar gestraft. Strafe (und bei sensiblen Hunden genügt hier schon eine ärgerliche Stimme!) löst beim Hund immer Angstgefühle aus. So lange diese Angst anhält ist aber jeglicher Lernvorgang blockiert. Es bringt uns also bei der Arbeit mit dem Hund nicht weiter, ist im Gegenteil sogar ausgesprochen kontraproduktiv.
Ich erlebe oft, dass genervte Hundeführer ihren Hund nach einem vermeintlichen Ungehorsam oder auch nur Unaufmerksamkeit mit energischem Leinenruck und wütendem Fuß-Kommando weiter bewegen. Ziel ist es aber, dass der Hund diese Kommandos freudig ausführt. Sie sollten so weit kommen, dass Ihr Hund ein Hörzeichen aus seiner Sicht gesehen ausführen darf, nicht muss. Das wird er natürlich nicht tun, wenn sie wie eine Strafe verwendet werden.
Müssen Sie ihren Hund von etwas abhalten oder einmal zurechtweisen, sollten Sie andere Worte gebrauchen (Pfui, Schluss, Nein, Lass dass oder ähnliches). Diese dürfen Sie aber dann durchaus entsprechende energisch aussprechen. Achten Sie nur darauf, Ihrem Hund nach einem erteilten Verbot sofort ein aktiv auszuführendes Hörzeichen, nun wieder freundlich ausgesprochen, zu erteilen. Ihr Hund fällt sonst in ein "Handlungsloch": er darf etwas nicht tun, weiß aber nicht was er anstelle dessen machen soll.

Wenn ich mich so im Umgang mit meiner Bahari beobachte, müsste alten Erziehungsratgebern zu Folge bei uns das absolute Chaos herrschen und der Hund die Familie knurrend in Schach halten: Da darf der Hund auf dem Sofa liegen, hat meistens Erfolg mit den Bettelattacken und wird nach Strich und Faden verwöhnt. Geht es aber nach draußen, ist zwar auch Bahari an den Umweltdüften interessiert und freut sich, wenn sie andere Hunde trifft, aber bei alledem ist sie immer auf mich konzentriert. Sie ist jederzeit bereit, auf das kleinste Räuspern von mir innezuhalten und abzuwarten, was ich von ihr will. Ihr Wildgehorsam ist so absolut sicher, dass ich mir manchmal den Spaß mache zu versuchen, möglichst nahe an das Wild (mit dem unangeleinten Hund!) heranzupirschen. Es ist inzwischen schon mehrfach vorgekommen, dass uns begleitende Hunde auf und davon liefen, um Wild hinterherzulaufen und Bahari ganz einfach bei mir blieb.
Betrete ich mit ihr den Hundeplatz, lässt sich mich nicht mehr aus den Augen: "Los sag schon was ich machen darf!"

Manchmal frage ich mich, womit ich das eigentlich geschafft habe. Und inzwischen bin ich überzeugt, dass es an meiner Grundeinstellung zum Hund liegt:

Haltung, Erziehung und Führen des Hundes sind alles Eines und finden ständig statt und man sollte es stets mit leichtem Herz und feinfühliger Hand tun!

So sollte es sein:
Bahari führt freudig das Kommando "Fuß" (im Normalschritt) aus.
Bahari geht Fuß

Und zu guter Letzt noch meine Bitte:

Lassen Sie den Hund auch Hund sein, denn keiner hat ihn gefragt, ob der dieses überbehütete, streng reglementierte Luxushundeleben auch haben wollte.


Weiterführende Literatur:
G. u. K. Bloch: "Timberwolf Yukon & Co. elf Jahre Verhaltensbeobachtungen an Wölfen in freier Wildbahn"
Kynos-Verlag, Mürlenbach/Deutschland 2002

Ray u. Lorna Coppinger: "Hunde - Neue Erkenntnisse über Herkunft, Verhalten und Evolution der Caniden"
animal-Learn-Verlag

Elizabeth Marshall Thomas: "Das geheime Leben der Hunde"
Rowohlt Verlag und
"Hundegesellschaft" Vom Glück mit Vierbeinern
RoRoRo Verlag